#ANDRÉ_HELLER: #Kunst ist überlebensnotwendig/#Gespräche_in_Grenzen (2/Teil 2)

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Roncalli, Flic-Flac und Feuertheater in Lissabon und West-Berlin: die Welt saugt sich voll mit Hellers Träumen . Angesichts horrender Arbeitslosigkeitszahlen liegt freilich der Einwand nahe, dass es nahezu mutwilliger Luxus ist, heute wie ein barocker Fürst Millionen in der Luft zu verpulvern.

Heller: „Wenn eine Million Menschen gemeinsam Strawinsky hört, und dazu riesige brennende Bilder sieht, dann ist das ebenso berechtigt wie die ‚Zauberflöte‘ von Mozart oder jeder Film von Wim Wenders.
Wenn man wie ich der Ansicht ist, dass Kunst lebensnotwendig für die Stabilität unserer Seele ist, dass sie eine große Lernhilfe ist und eine große Quelle der Kraft, dann ist das Geld nicht verschwendet, wenn es verantwortungsbewusst eingesetzt wird.“

Geht man von der konventionellen Dramaturgie aus, dann stehen Feuerwerke immer am Schluss und bilden den Höhepunkt eines Ereignisses. Was also kann danach für André Heller noch kommen?

„Ich habe den Beruf des Feuerwerkers gelernt, und jetzt lerne ich den Beruf des Gärtners. Ich werde für die 750-Jahr-Feier in Berlin, 1987, einen Park, ein Labyrinth anlegen, welches auch den Charakter eines Nach-Denkmals haben wird, also etwas, worin man spazieren geht und etwas über sich erfährt, das man wie ein exterritoriales Gebiet betreten kann, um auszuzittern. Ich glaube, dass wir in unseren Städten die ja ausgeplünderte und gedemütigte Städte sind, Reservoirs der Qualität brauchen, Intensivstationen, wo sich der Mensch die Kraft eines Baumes holen kann und Gerüche von Pflanzen, die Magie von Licht und Schatten, die Geräusche von Brunnen, die gnadenspendende Fähigkeit der Bilder und Objekte. Das ist auch für mich wichtig. Ich komme doch so aus dem Künstlichen. Ich muss mich stimmen auf den Ton, den die Erde hat.“

Sich veröffentlichen

Heller hat in sich hineingehorcht und nach außen beobachtet. Indem er Stück für Stück von sich veröffentlicht, sei es in diesem Gespräch, sei es in seiner Laufbahn als Magier der Träume, verliert er sich und gewinnt sich neu dazu. Mit Narzissmus hat das wenig zu tun, in der Liebe aber wurzelt bei ihm alles.

„Ich will, das meine Arbeit geliebt wird. Ich kann nicht so kokett tun und sagen, es gäbe Millionen , die das können, was ich tue. Irgendwann muss man das zur Kenntnis nehmen, dass es zur Zeit niemanden auf der Welt gibt, der solche Projekte verwirklicht. Und wenn selbst die Amerikaner und die Japaner zu mir kommen und mir sagen, komm zu uns und mach das, wir haben da niemanden, da darf man schon sagen, dass das eine seltene Begabung ist.“

Wie lenkt sich dieser Heller eigentlich von sich selber ab? „Es ist nicht sehr lustig, mit mir zu leben. Irgendwie leide ich auch unter diesem Phantasiezwang. Ich hätte auch gerne einmal eine Pause. Denn ich habe ja keinen Beruf, sondern einen Zustand, in dem ich lebe. Wann immer ich etwas betrachte, beginne ich zu assoziieren und verändere das. Ich habe mich einmal selbst als Kapriolenschwein bezeichnet, das alles mit sich besudelt. Das ist sicher auch etwas Krankhaftes, eine Deformation im Kopf. Ich bin mir oft sehr anstrengend.“

Gespräche gelangen oftmals an eine Grenze, wo das Staunen, wo Bewunderung aufhören und das Verstehen beginnt.

#GESPRÄCHE_IN_GRENZEN (2): #André_Heller

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Der Künstler als sehr junger Mann

„Gespräche in Grenzen“ sind keine Interviews, sondern (oft stundenlange) Versuche, sprechend Außen-Ansichten und liebevoll gepflegte Images zu korrigieren. „Gespräche in Grenzen“ sind Protokolle, die Günter Verdin für SDR 3 aufzeichnete. Das Gespräch mit André Heller entstand im Jahr 1985.

„Wir sind nicht als Menschen geboren worden“, sagt André Heller, „sondern als Entwürfe zum Menschen. Wir sind auf der Welt, um uns lernend zu verwandeln. Wir können uns aber nur lernend verwandeln, wenn wir unser Lernpensum erfüllen. Mein Lernpensum besteht darin, durch alle Schwierigkeiten, die alle zu meinem Wohl eingerichtet sind, durchzugehen und das, was ich als meinen Auftrag erkannt habe, zu verwirklichen.“

Heller spricht von seinen Träumen. Ich bewundere an ihm die Zielstrebigkeit, mit der er seine Träume der Wirklichkeit überlässt. Mir fällt Gaudi ein, der beinahe gnadenlos ganze Städte mit seinen Jugendstillbauten übersäte. „Man hört ja immer nur von den Dingen, die realisiert wurden. Aber ich bin kein Glückskind, dem alles zufliegt. Ich habe gelernt, dass die Frucht am Ende aller Schwierigkeiten eine sehr köstliche ist. Man lernt immer, auch wenn etwas nicht gelingt.“

Poesie ist das Brot der Seele

Träumen ist ein Prozess, der mit geschlossenen Augen abläuft. Muss man auch die Ohren verschließen, um so hartnäckig wie Heller träumen zu können?
„Es ist ja nicht umfassend geliebt, was ich ich tu. Das finde ich auch auch ganz richtig.“

Noch habe ich den Eindruck, dass Heller die Liebe anderer ohnedies weniger benötigt als die eigene zu sich selbst. Später werde ich dieses Vorurteil korrigieren.

„Künstler sollen nicht verlangen, dass alle Welt auf ihrer Seite ist. Für viele ist das oft sperrig und unverständlich, manchen erscheint ja Kunst sträflicherweise als Luxus. Sie begreifen nicht, dass Kunst eine der Grundnotwendigkeit des Lebens ist. Poesie ist das Brot der Seele, habe ich einmal gesagt.“ Er zitiert sich genau so oft selbst wie er andere zitiert, denen er sich geistig brüderlich verbunden fühlt. Er wirkt dabei übrigens nicht eitel, eher irritiert, weil ihm keine besser zutreffende Formulierung einfällt als die schon gebrauchte. Heller sieht sehr wohl die Egozentrik des Träumens, aber er hat auch eine soziale Komponente entdeckt: die der Ermutigung: „Es gibt Menschen, die meine Erfahrungen und meine Arbeitsergebnisse für sich brauchen, weil es sie an die Möglichkeiten der eigenen Kreativität erinnert. Ich kann nur sagen, das sind meine Lösungen, und es hat sich für mich ausgezahlt, die Herausforderungen anzunehmen, und ich rate jedem, Schwierigkeiten auf sich zu nehmen und sich lernend zu verwandeln, denn am Schluss kann man sich selbst besser achten und geht ohne Magengeschwüre schlafen.“

Welt der Zwischentöne

Vielleicht ist der Begriff Traum im sprachlichen Gebrauch zu passiv besetzt? „Was ich unter Traum verstehe, das meint eine bessere Welt, eine Welt der Zwischentöne, die Erbarmen mit uns hat, in der man sich selber zugeben darf, wo man nicht ununterbrochen lügen muss. Jeder Mensch ist ein Wunder und hat ein Recht, sich achten zu dürfen. Diese Gegenwelt müssen wir errichten gegen die banale und demütigende Welt, die uns die Politiker, die Machthaber und die großen Konzerne beschert haben. Wir müssen sie herstellen mit den Mitteln der Phantasie, aber, realistisch gesehen, auch täglich dafür arbeiten. Es nützt nichts, wenn man zu Hause sitzt und davon träumt, man muss diese Welt verwirklichen. Ich sage immer, dass der Gedanke zur Tat schrumpft. Es wird natürlich kleiner, aber das kleinste Verwirklichte ist immer noch besser als das kühnste Nichtverwirklichte. “

Ein Narr ist derjenige, der sich irren darf

Heller ist Optimist. Er glaubt an die Schneeballwirkung dessen, was er in die Welt setzt. Doch er kennt natürlich auch depressive Phasen, wo er das alles als nichtig und unwichtig betrachtet:“Ich verstehe auch sehr viel von der Kritik, die an mir geübt wird, also Einwände wie: Ist das denn überhaupt noch seriös? Wie kann denn jemand auf so vielen Hochzeiten tanzen? Ich verstehe, dass einen das verwirren kann, aber ich weiß auch, dass das meine Begabung so will, dass sie auch das Recht hat, das zu fordern, sonst hätte ich diese Begabung nicht in diesem Maße. Ich verstehe mich als jemand, der sozusagen angestellt ist bei sich selber und versuchen muss, alles möglichst wahrhaftig zu verwirklichen, wovon er träumt. Und ich glaube, dass die Macht der Phantasie sehr groß ist. Ich meine, dass wir in dieser harten realen Welt nur dann eine Chance haben zu überleben, wenn wir die Haltung, die Menschen wie ich vertreten, zu einer allgemeinen Haltung machen. Wir können nicht mit der Gefährdung, mit der Waffenbedrohung und der ökologischen Situation leben, dieser Zeitbombe, die ja teilweise schon explodiert ist, ohne uns zu verändern. Es gibt einen magischen Zusammenhang zwischen der Effizienz unserer Forderungen und dem, was wir leben. Unsere Forderungen sind nur soviel wert, wie wir selber davon leben. Und das ist schwierig. Ich bin jemand, der das für sich noch nicht im Geringsten verwirklicht hat, sondern der sich täglich bemüht, die Schlacht gegen sich selbst nicht zu verlieren.“

Träumer und Narren verändern die Welt, indem sie ihre Visionen leben. Eine LP von André Heller hat den Titel „Narrenlieder“. Der Narr als literarische Figur ist ein schönes Bild für das bessere Wissen in uns, das wir vor den äußeren Zwängen verbergen. Für Heller ist der Narr jemand mit einer anderen Sensibilität: „Ein Politiker darf sich nicht irren, er kann nicht übermorgen sagen: ich habe vorgestern etwas gesagt, was heute nicht mehr stimmt, denn ich habe gelernt. Nein, er lernt nicht, er ist stolz, dass die Position, die er vor acht Monaten eingenommen hat, scheinbar noch immer stimmt. Er darf sich nicht widerrufen, in Frage stellen. Dadurch wird er zum Unmenschen, er wird zu einem gequälten, valiumgepölzten Geschöpf. Ein Narr ist derjenige, der sich in irrten darf.“

Furchtlos vor der Macht

Bevor Heller daranging, der Wirklichkeit Poesie zu verordnen, arbeitete er an der eigenen Entwicklung. Dass er in einer Großindustriellenfamilie aufgewachsen ist, sieht er als große Chance: „Ich habe früh viele Städte gesehen, ich bin aufgewachsen mit einer wunderbaren Bibliothek und herrlichen Büchern, ich lernte früh berühmte Architekten und Schriftsteller kennen, die bei uns zu Gast waren. Und ich habe früh gelernt, keinen Respekt vor Obrigkeiten zu haben. Das ist eines der unbezahlbaren zentralen Dinge in meinem Leben, dass ich das Gefühl habe: kein Mensch darf mich zusammenscheißen. Ich kann einen bestimmten Tonfall nicht ertragen. Ich bekomme auch keine Schweißhände, wenn der Bundespräsident auf mich zukommt, ich denke mir, das ist ein Diener an diesem Staat, den ich im positiven Fall mitgewählt habe. Ich glaube, ich hätte mich nie so durchsetzen und so viele Dinge verwirklichen können, wenn ich diese Furchtlosigkeit vor den Reichen und Machthabern nicht hätte. Das ist natürlich eindeutig ein Ergebnis der privilegierten Situation, in der ich aufgewachsen bin in einem Bezirk, wo sich die Polizisten vor den Villenbesitzern gefürchtet haben und nicht umgekehrt.“

Das Obrigkeitsdenken hat in Österreich einerseits Tradition, anderseits wurzelt es in den Existenzängsten des Bürgers und seinem Sicherheitsbedürfnis. Heller behauptet, das ihm Existenzangst Fremdwort sei: „Ich habe ja sehr oft kein Geld gehabt. Nach dem Tod meines Vaters ist die Firma verkauft worden. Meine Mutter musste ganz normal arbeiten gehen wie Millionen andere Frauen auch. Es ist also nicht so, dass ich jetzt schöpfen könnte aus dem materiellen Schatz, der einmal da war. Ich besitze auch kein Vermögen. Alles, was ich an Kunstwerken besitze, ist nur da als Pfand. Wann immer ich ein Projekt mache, setze ich das ein, damit ich keinen Chef über mir habe, der mir diktieren kann. Meine Existenzangst besteht darin, nicht genügend Freiheit zu haben, meine Pläne zu verwirklichen.“

Gift der heilen Welt des Schlagers

Heller hat denn auch ganz realistisch, um Geld zu verdienen, bei Ö3 als Diskjockey angefangen.“ Ich fand die Rockstars, die ich kennenlernte, von Jimy Hendrix über die Beatles und die Stones bis zu Janis Joplin um keine Spur interessanter als mich selbst, ich fand sie größtenteils uninteressanter als mich. Ich habe überhaupt nicht eingesehen, warum ich Berichterstatter über andere Leute sein soll.“
Heller beschloss also, seine eigenen Platten zu produzieren. Für den Zuhörer erscheint es als außerordentliches Glück, dass Heller immer ganz hervorragende Musiker fand, mit denen er seinen lyrischen Intentionen eine auffallend stimmige klangliches Umsetzung angedeihen ließ. Heller widerspricht: „Das ist überhaupt kein Glück. Das ist eine Willenserklärung, die man in die Tat umsetzt. Ich habe mich immer darum bemüht, dass die besten Musiker auf der ganzen Welt meine Geschichten mit ihren Mitteln miterzählen. Ich habe bereits vor zehn Jahren mit Chaka Khan ein Duett gesungen, sie ist heute ein Weltstar. Ich habe mir auch Partner aus dem klassischen Bereich geholt, ich habe mir wunderbare persische Musiker ausgesucht. Mir erscheint die Musik wichtig genug, um sie nicht von Studiomusikern spielen zu lassen, die heute für Christian Anders und morgen für mich zur Trommel greifen. So wie es einen sauren Regen gibt, gibt es auch ein saures Gehirn, voll mit dem Gift der heilen Welt, wie sie die Schlager suggerieren. Dieses Gift geht nicht mehr aus dem Körper.“

Die Lieder des André Heller stellen nur die eine mögliche Antwort auf die verschiedenen Fragen dar. „Es gibt Fragen in meinem Leben, die beantworte ich mit einem Theaterstück für Feuerwerk, es gibt Fragen, die beantworte ich mit meinen poetischen Varieté-Programmen. Es gibt Fragen, die beantworte ich mit einem Labyrinth oder mit einem Blumenbild auf der Gartenschau. Und dann gibt es bestimmte Situationen, da bleibt mir als Notausgang nur ein Lied. Deswegen sind meine Platten meistens so melancholisch, weil ich meine Euphorien in anderen Dingen loswerde. Wer nur meine Platten kauft, der glaubt, ich bin so ein umflorter, umwölkter Gipfel mit den Füßen im Laub und oben irgendwo in der Traurigkeit. Das ist falsch. Ich bin ein sehr euphorischer Mensch, der gerne lacht. Das war ja alles in Flic-Flac zu sehen. Und meine Pathetik, mein Wahnsinn, das kam bisher sicher am besten im Feuertheater zum Tragen.“

Zwischentöne im Zirkus

Der Circus Roncalli machte Heller auch in der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Über das künstlerische Konzept kam es zwischen ihm und dem Zirkusbesitzer Bernhard Paul zu unüberwindbaren Differenzen. Paul führt den Zirkus, nach der Trennung von Heller, mit großem Erfolg weiter. Heller ist inzwischen weise geworden: „Das war ein schwerer Fehler von mir. Das war reiner Machtwahn. Ich habe Bernhard Paul einfach in einer rotzigen Weise in allen Dingen übergangen, ich habe ihn missachtet, weil ich den Wahn hatte, dass mir in mein künstlerisches Konzept niemand dreinreden dürfe. Als dann der Erfolg kam, haben wir ihn einfach hinausgeschmissen. Doch er hat sich eines Tages darauf besonnen, dass ihm der Zirkus ja gehört. Dann bin ich weggegangen. Das war falsch. Wir hatten ein herrliches blühendes Kind, das Tausende von Menschen Freude gemacht hat, und ich habe das einfach aus Sturheit sterben lassen. Ich glaube, dass Zirkus etwas Wunderbares ist, und dass der Roncalli, der ja heute noch auf Reisen ist, einfach der beste Zirkus ist, den es auf der Welt gibt. Auch der jetzige, mit dem ich überhaupt nichts zu tun habe, ist einfach ein grandioser Zirkus! Er wirbt für eine bestimmt Sinnlichkeit, und er wirbt für Zwischentöne, und das ist gut so.“

(Fortsetzung folgt)

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Freitag,16. März 2012
Dass mich ausgerechnet Andre Heller dazu zwingt, eine Tagebuchnotiz zu schreiben, der vielleicht keine zweite folgen wird, vielleicht aber doch, ist wundersam. Denn Andre Heller ist der Hassgeliebte meiner Jugendzeit, wegen ihm und dem Qualtinger pilgerten wir als Schauspielschueler ins Café Hawelka, um sie dort hofhalten zu sehen. Das war die Zeit, wo der damals schon bekannte Filmbösewicht Herbert Fux tagsüber die Kaerntnerstrasse auf und ab lief und jede zweite Frau deutlichst anbaggerte mit den Worten: „I bin der Herbert Fux, wollen Sie mit mir schlafen.“ Es gab damals also, neben meiner bestbürgerlich- katholisch-sehnsuchtsgehemmten Welt ein Paralleluniversum, in dem alles möglich war, nur für einen selbst nicht.
Den Heller, der damals den Dandy, und bei Oe3 den Schnösel spielte, habe ich bewundert und verachtet, weil er so aufdringlich war in allen seinen künstlerischen Bemühungen, mit denen er nur eines im Sinne hatte: dem bürgerlichen Wien, dem er entstammte und aus dem die Flucht ihm bis heute nicht gelang, den Hintern zu zeigen. Es war die Zeit, als ich als Jungmime den ersten Minirock für Männer unter großem Pressehallo auf der Neubaugasse vorführte, und den leitenden Job beim „blinkfeuer“ ,dem Blatt für die Katholische Studierende Jugend verlor, weil ich einen Dialog zweier im Bett liegender Jugendlicher veröffentlich hatte. Ich war da aber auch schon aufgefallen, weil der Karteikasten des „Jungen Arbeiter“ auf den Boden gefallen war, und mir unterstellt wurde, ich hätte auf dem Schreibtisch mit meiner Freundin Dolores unzüchtig gehandelt, was ich natürlich bestritt und diese Lüge bis jetzt noch nicht gebeichtet habe. Allerdings: diese Mutwill-Aktionen hatten nicht im Geringsten den Glamour der Hellerschen Skandale.
Siehe dazu das soeben erschienene Buch von DOLORES Schmidinger „Ich habe sie nicht gezählt“, wo die Geschichte anonymisiert ausgebreitet wird.

Heller habe ich später für den damaligen SDR in Stuttgart interviewt. Er promotete sein Projekt „Begnadete Körper “ und ich stritt mit ihm über den Titel und warf ihm unkritischen Körperkult vor. Er hörte interessiert zu und brachte im Gespräch dann doch alles unter, was er sich vorgenommen hatte und was ihm werbedienlich schien.

Vorgestern erst kam mir der Heller wieder unter, als gezeichnetes Porträt von Andy Warhol ( es gibt bei Google nur eine einzige Abbildung davon; das Magazin FOCUS hütet dies wie ich meinen Augapfel und schaltet sofort eine Anzeige, wenn das Bild veröffentlicht wird.)

Das alles wäre aber wahrlich kein Grund, ein sporadisches Tagebuch anzulegen. Schuld ist das Magazin der Süddeutschen, das am Freitag der Zeitung beigelegt wird. Ich lese eigentlich lieber die FAZ, aber die Süddeutsche bekam ich gratis im ICE auf der Fahrt nach Stuttgart.
Sven Michaelsen entlockte dem Heller im Gespräch über die eben erschienene Biographie von Christian Seiler („Andre Heller, Feuerkopf“) viele intime Wahrheiten, die das Anwidernde im Benehmen des jungen Heller in anderem Licht erscheinen lassen. Und vielleicht auch das von Helmut Qualtinger. Der besuchte uns einmal in der Schauspielschule und hatte eine besonders hübsche Kollegin ins Auge gefasst. Um sie geneigt zu machen, versuchte er ihr den blassen und schüchternen Freund madig zu machen. Mir wurde das zuviel und ich motzte ihn an – ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – er solle das gefälligst lassen, sich auf Kosten eines Schwächeren zu amüsieren. Irgendwie war dann die gute Stimmung leider im Eimer, in den ich vorher hätte kotzen wollen.

Was mir in dem Interview mit Heller am besten gefällt, ist nicht nur die Ehrlichkeit, sondern auch das Anekdotenhafte.

Heller erzählt: Am Nachmittag begleitete ich (John) Lennon zum Flughafen. Als wir uns dem Zentralfriedhof näherten , sagte ich, dass sein Kollege Franz Schubert hier liege.Er ließ die Limousine stoppen, und wir liefen zu den Ehrengräbern. An Schuberts Grab stehend fiel ihm auf, wer da im Umkreis von 20 Metern noch seine endgültige Unruhe gefunden hatte: Mozart, Beethoven, Brahms, Johann Strauss. Er sagte: „Was für eine aberwitzige Versammlung!“, zog den Schnürsenkel aus seinem rechten Schuh und legte ihn mit den Worten „statt Blumen“ auf Schuberts Grab.

Das Interview endet übrigens mit folgenden Worten: „Meine Mutter wird heuer 98. Sie sagt:’Bis 90 war es ein Vergnügen, dann wird alles Disziplin.'“

Von dieser Heller-Erkenntnis wird auch meine Mutter sicher profitieren ; sie ist heuer 90 geworden.

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