War #STEFAN_ZWEIG ein #Intrigenopfer #Hofmannsthals?

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(Stefan Zweig-Denkmal auf dem Salzburger Kapuzinerberg)

Der Europäer auf dem Kapuzinerberg

Von Günter Verdin

„Darum hat die Kunst unserer Zeit in Hugo in Hugo von Hofmannstahl nicht nur ihren sprachmächtigsten Dichter verloren, sondern auch ihren obersten und reinsten Richter. (…) Denn dies war der letzte, der äußerst Sinn seiner Sendung auf Erden: noch einmal das Maß nach oben zu richten – eine Zeit, die (…) nur auf Gleitendem ruht, neuerdings auf das Dauernde und Unvergängliche zurückzuverweisen. Hugo von Hofmannsthal hat gefordert und durch sein Werk bewiesen, dass auch heute eine hohe, eine adelige, eine dem Absoluten dienende Kunst möglich ist, und dass wir dies erlebten an seinem Dasein – darin liegt große Verpflichtung.“

Spricht so ein „Intimfeind“ über den Gegner, welchen er glücklich überlebt hat? Oder ahnte der Dichter Zweig 1929, als der die Trauerrede für Hofmannstahl am Wiener Burgtheater hielt, wirklich nichts von der Abneigung des von ihm Gewürdigten ihm gegenüber, obwohl sich die Familie des Verblichenen die Rede durch Zweig verbeten hatte und die Witwe dem Festakt deswegen fernblieb. Welche Rolle hatte Hofmannstahl, hatten Reinhardt und auch Strauss im Intrigenspiel, welches Stefan Zweig, den „Österreicher vom Kapuzinerberg Salzburg“ (Egon Erwin Kisch, 1942), von der Mitwirkung an den Salzburger Festspielen fernhalten sollte? Oder hat gar Stefan Zweig selbst die Salzburger Festspiele boykottiert?

Nicht nur Berta Zuckerkandl, „die Hofrätin“, welche mit Friderike und Stefan Zweig befreundet war, und durch ihren berühmten „Salon“ großen Einfluss auf das künstlerische Schaffen ihrer Zeit hatte, wunderte sich: „Als Zweig unmittelbar nach Kriegsende in Salzburg das kleine Schloss auf dem Kapuzinerberg erwarb, hätte man seine Mitwirkung an den Salzburger Festspielen für selbstverständlich gehalten. Beinahe gleichzeitig waren Max Reinhardt auf Schloss Leopoldskron und Hermann Bahr auf Birgelstein ansässig geworden. Doch nur mit Bahr trat Zweig in nähere Verbindung. Reinhardts und Hofmannstahls Werk wandte er den Rücken. Wenn im August der Festspielrummel begann, verschwand Zweig beinahe demonstrativ aus Salzburg. Er überließ es seiner Frau Friderike, die zahlreichen Gäste, die auf den Kapuzinerberg pilgerten, zu empfangen.“ Berta Zuckerkandl schrieb das 1970, und es empfiehlt sich, mit solchen Zeugenaussagen aus der Erinnerung vorsichtig umzugehen.

Dass Zweig den Festpieltrubel floh, ist durch Briefstellen aus der Korrespondenz mit seiner ersten Frau Friderike belegt. Sie sendet am 22. Juni 1923 an den „lieben Stefan“ nach Westerland auf Sylt folgenden Hilferuf: „(…) endlich flüchte ich mich in die Ruhe des Briefschreibens. Es freut mich, wenn Du Ruhe hast, aber wenn Du nicht hier bist, glauben die Menschen, unser Haus sei völlig zu ihrer Benutzung, wenn nur irgendein Vorwand besteht heraufzukommen.“ Und Zweig antwortet: „(…) Du wirst mir zugeben, dass ich Dich mit Recht immer gewarnt habe, so viele Menschen ins Haus zu ziehen. Ich weiß sehr wohl, warum ich im Cafehaus empfange – die Leute haben oft kein Maß und vergessen, dass sie nicht die einzigen sind.“

„Empfangen“ hat Stefan Zweig übrigens vorwiegend im „Cafe Bazar“. Die Senior Chefin, Frau Tomaselli, die als Tänzerin des Gertrud-Bodenwieser-Ensembles auch zu einer Privatvorstellung im Paschinger Schlößl der Zweigs zu Gast war, erinnert sich heute noch an die Besuche des Dichters. Der Zweig Tisch war die Nummer 7 an der dem Wintergarten benachbarten Seite des Cafehaus-Saales. (Abnmerkung: das alte , erinnerungsschwere Mobiliar wurde im Zuge der Renovierung durch die neuen Besitzer, die Familie Brandstätter, nicht gerade feinfühlig, entsorgt.) Zweig habe sich hier unter anderem mit Zuckmayer, auch mit Hofmannsthal getroffen, sei aber immer nur kurz dagewesen. Von Spannungen zwischen Zweig und Hofmannsthal wäre freilich nichts zu merken gewesen. Die Behauptung von Berta Zuckerkandl, Zweig habe Reinhardts und Hofmannsthals Werk „den Rücken“ zugewandt lässt sich ebensowenig begründen wie die von Helene Thimig („Wie Max Reinhardt lebte“), dass der Schriftsteller „ein Intimfeind des Rheinhardtschen Hausdichters Hugo von Hofmannsthal“ war, und „die Antipathie, die er für Hofmannsthal empfand, auch auf Reinhardt“ übertrug.

In seinen Erinnerungen „Die Welt von Gestern“ bejubelt Stefan Zweig die Salzburger Festspiele: „Mit einemmal wurden die Salzburger Festspiele eine Weltattraktion, gleichsam die neuzeitlichen olympischen Spiele der Kunst, bei denen alle Nationen wetteiferten, ihre besten Leistungen zur Schau zu stellen. (…) Salzburg war und blieb in diesem Jahrzehnt der künstlerische Pilgerort Europas.“ Es fällt schwer zu glauben, dass diese Zeilen von einem Mann stammen sollen, dessen „Verstimmung“ sich „im Grunde gegen alles, was die Festspiele bejahte, (…)“ richtete, wie Friderike Zweig in ihrem „Wie ich ihn erlebte“ schreibt.

Zweig hat jedenfalls die Festspiele nicht boykottiert, er besuchte immer wieder Proben und Aufführungen seiner Freunde Strauss und Toscanini, er besuchte Reinhardt bei den Proben zur legendären „Faust“ Aufführung in der Felsenreitschule, und er schrieb für den ersten Festspielalmanach im Jahre 1925 seinen Essay „Die Stadt als Rahmen“.

Reinhardts Regietätigkeit wurde von Stefan Zweig zeitlebens bewundert. Anlässlich einer Vorstellung der „Großen Pantomime zur Musik von Engelbert Humperdinck“, „Mirakel“, notiert Zweig am 18. September 1912 im Tagebuch: „(…) Reinhardt hat sich da selber übertroffen. Diese Massen, die in farbiger Flut anströmen, die Kühnheit der Verwandlungen (…) ist unvergänglicher Fund. Ich wollte, Gelegenheit böte sich, ihm meine Bewunderung zu sagen.“

Auch Zweigs „ursprüngliche Bewunderung für Hofmannsthal hatte nie nachgelassen (…)“, wie sein Biograph Donald A. Prater („Das Leben eines Ungeduldigen“, Hanser, 1981) schreibt.

Zweifellos war Zweig schon als Gymnasiast sowohl von Hofmannsthal wie auch von Rainer Maria Rilke schwärmerisch begeistert. Dennoch finden sich in den Tagebüchern Zweigs auch kritische Anmerkungen zu Hofmannsthal, etwa dessen mangelnden „Heroismus“ betreffend, weil Hofmannsthal sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges vom Dienst an der Front „wegen Nervosität“ befreien ließ.(7.8.1914) Nach einem Gespräch mit dem Schriftsteller Ernst Hardt notiert Zweig am 15. Jänner 1915: „Sein Hass gegen Hofmannsthal ist gut fundiert.“ Und am 24. November 1917 schreibt Zweig „Rolland hat recht zu fragen: Wieso schreiben alle eure Autoren nichts über den Krieg? (…) Ich finde tatsächlich bei Schnitzler, Rilke, Hofmannsthal keine Spur der Zeit. Und ist das nicht Tod, an einer solchen Zeit vorbei zu leben?“ Ob freilich Stefan Zweig nach dem Tod Hofmannsthals durch Richard Strauss (Prater) oder durch Max Reinhardt (Friderike Zweig) erfahren hat, dass der Dichter des „Jedermann“ von Anfang an seine Mitwirkung an den Festspielen hintertrieben habe, darüber gehen die Aussagen auseinander.
Das „Zweig“ Verbot scheint von Reinhardt so strikte jedenfalls nicht beachtet worden zu sein, denn Friderike berichtet in ihren Briefen zweimal von Einladungen zu Reinhardts Festen auf Schloss Leopoldskron (Brief aus Salzburg nach Hamburg, August 1930).
Reinhardt, welcher Zweig nach dem Tod Hofmannsthals aufforderte, sein Werk und seine Mithilfe dem dramatischen Programm der Salzburger Festspiele zur Verfügung zu stellen, wie Friderike Zweig berichtet , holte sich vom durch „diese einseitige Rivalität“ Hofmannstahls „bestürzten“ Dichter eine Abfuhr. Als Textdichter für Strauss trat der Gekränkte dennoch in die Fußstapfen Hofmannstahls: Er schrieb das Libretto zur Oper „Die schweigsame Frau“.
Noch einmal allerdings triumphiert Hofmannsthal über Zweig: 1992, dem 50. Todesjahr Zweigs, stand nicht „Die schweigsame Frau“ auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele ,sondern „Die Frau ohne Schatten“.

(Dieser Artikel von Günter Verdin erschien 25. Juli 1992 in der Festspielausgabe einer Salzburger Zeitung, deren Namen von Verdin nicht mehr erwähnt werden mag).

LEKTÜREEMPFEHLUNG: Stefan Zweig -sein Leben in Bildern

http://pickz.de/link.php?q=stefan+asch&url=http%3A%2F%2Fwww.elke-rehder.de%2Fstefan-zweig%2Fbiografie-stefan-zweig.htm

Die Schauspielerin des Jahres 2012: SOPHIE ROIS

Die aus Österreich stammende Schauspielerin SOPHIE ROIS , zur Zeit an der Berliner Volksbühne engagiert, ist von den deutschen Theaterkritikerinnen für die Bestenliste von „THEATER HEUTE“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt worden.
2010 erhielt sie den Preis der deutschen Filmkritik als „Beste Darstellerin“ für „Drei“, und 2012 bekam sie den Theaterpreis Berlin „für ihre herausragenden Verdienste um das deutschsprachige Theater“.
Dass sie 1998 bei den Salzburger Festspielen die Buhlschaft im „Jedermann“ spielte, gehört zu den wenigen „Fehltritten“ in ihrer sonst beispielhaft von großem künstlerischen Anspruch geprägten Karriere.
Das Gespräch mit Sophie Rois entstand 1998 anlässlich ihres nur ein Jahr währenden Techtelmechtel mit dem „Jedermann“.

Neben Sophie Rois haben alle anderen ausgespielt.“ An solche Kritiken (diese stammt aus der „Süddeutschen“) durfte sich Sophie Rois bereits gewöhnen. Nun also die Buhlschaft, der schönste Baum weit und breit in der Theaterlandschaft, an dem sich schon viele Stars abgearbeitet haben. Viele, die den Star der „Berliner Volksbühne“ in so unterschiedlichen rollen wie der Feministin in der „Stadt der Frauen“ nach Fellini, oder als egozentrische , machtbesessene Brunhild in den „Nibelungen I +II“ (Regie:Frank Castorf), oder als von epileptischen Anfällen geplagter Rudi Dutschke in der Regie von Christoph Schlingensief erlebt haben, fragen sich, worin für eine im besten Sinne exzentrische Schauspielerin von lodernder Darstellungskraft die Herausforderung liegen könnte, sich eine so eindimensional der Schablone entrissene Figur wie Jedermanns Bettgespielin anzueignen. Ein wenig rätselt Sophie Rois, eine gebürtige Oberösterreicherin, wohl selbst: „ Ich habe mich sehr gewundert, dass man mir diese Rolle angeboten hat. Ich habe laut geschrieen, ich fand das sehr originell! Ich gestehe, dass der ´Jedermann` davor in meinem Kosmos gar nicht vorkam.“ Apropos „Baum“:“Ich finde es wunderbar, dass sie so wenig Text hat! Mein größtes Vorbild ist Mae West! In ihren letzten Filmen ist sie nur noch dagestanden, links und rechts sangen die Männer, und sie hat überhaupt nichts mehr getan. – Aber von dieser Art fauler Erotik oder Lässigkeit bin ich sowieso meilenweit entfernt. “

„´Jedermann`ist ein Allegorienspiel, und die Buhlschaft steht für die Lust am Leben und an der amoralischen Liebe, da gibt es eigentlich nichts zu psychologisieren. Ich würde diese Rolle auch nirgends anderswo spielen als in Salzburg auf dem Domplatz. Es geht um dieses alljährliche Ritual.
Ich als schwer katholisch aufgewachsener Mensch, der seine Familie terrorisiert hat, weil er keine Froneichnamsprozession auslassen wollte, bin für ein solches Erbauungsspiel durchaus empfänglich. Es ist extrem exotisch für mich, aber mich reizt das Volkstheaterhafte. Mich würde natürlich noch mehr interessieren, wie die Marx Brothers das Thema behandelt hätten: Ein Mann begegnet seinem Sterben – und das kann man in der einen oder anderen Weise aufbereiten.“
Die noch höhere Weihe, am Wiener Burgtheater gespielt zu haben, hat die Rois bereits hinter sich.Sie gastierte anlässlich der Wiener Festwochen in Marthalers Inszenierung von „Pariser Leben“ im Tempel deutscher Schauspielkunst. „Ich habe nicht mein Leben darauf hingearbeitet, einmal am Burgtheater spielen zu dürfen! . Es liegt in meiner Natur, dass ich wenig ernst nehme. Ich bin ja ein bisschen heimatlos. Ich bin überall zu Besuch. In Berlin fühle ich mich extrem als Österreicherin – diese Berliner mit ihrem grauslichen Essen, ohne Schmäh – und es fehlen mir meine österreichischen Freunde, und der Witz, und diese Form von Begabung. Anderseits, wenn ich nach Österreich komme, fühle ich mich auch fremd.“
Nach Berlin kehrt Sophie Rois zum Aufwachen zurück:“In Berlin bewegen wir uns in einer ganz anderen Welt von Trash, die einfach realistisch ist. Unser Publikum besteht aus Leuten, denen das Theater sonst total stinkt, die Theater hassen, und das größte Kompliment ist, wenn ein Besucher sagt:“Das ist ja überhaupt nicht wie im Theater bei euch! “ Eines ihrer Markenzeichen ist die raue Stimme: „Das ist ein Erbschaden – und dann wahrscheinlich noch draufgebrüllt – , mein Vater hat diese Stimme auch. Ich habe mich ja schon ein bisschen erzogen, ich glaube , es ist schon ein wenig besser damit.“
Sophie Rois stört es nicht, wenn sie ausgebuht wird:“Was ich mache, muss absolut nicht allen gefallen, das ist nicht unbedingt mehrheitsfähig, auch was ich an Identifikationsmöglichkeiten anbiete. Der Schauspieler ist dazu da, um zu verstören, zu provozieren. Das größte Kompliment, das man mir machen kann ist, wenn einer sagt, mir dreht es den Magen um, wenn ich dich spielen sehe.“

(Weitere Artikel über Sophie Rois finden Sie auf meinem Blog unter
verdinguenter.blogspot.com)

Der neue #JEDERMANN: #August_Diehl?#Salzburger_Festspiele

Ein bisschen Kinski steckt auch in ihm: August Diehl als „Prinz von Homburg“ bei den Salzburger Festspielen 2012

Seit bekannt ist, dass Nicholas Ofczarek ab 2013 nicht mehr den Jedermann spielen wird, ist die Suche nach dem Namen des neuen reichen Mannes auf dem Domplatz Thema Nummer 1.
Nun steht fest, wer in die Fußstapfen einiger der größten Schauspieler, von Curd Jürgens bis Gert Voss, treten wird. Gerüchte aus dem innersten Festspielkreis besagen, dass der deutsche Film- und Bühnenstar August Diehl der neue Jedermann wird. Er hat heuer in Salzburg in Kleists „Prinz von Homburg“ überzeugt. Die offizielle Bekanntgabe soll am 7. November erfolgen.

Anmerkung: August Diehl war in diesem Festspielsommer ein aufregend tiefgründiger Prinz von Homburg von Hamlet-Format, vom Stadelmeier in der FAZ zwar verrissen, aber was sagt das schon , wenn ein intelligenter Kritiker einem noch intelligenteren Schauspieler an den Karren fährt. August Diehl ist zwar mit dem Jedermann zwoelffach überbesetzt. Aber er wäre der zwingende Grund, sich das schrecklich bigotte und verlogene Schauspiel um die jähe Bekehrung eines reichen Prahlers wieder einmal anzusehen. Diehl als Jedermann wäre eine Sensation. Eigentlich unvorstellbar, dass er sich das antun wird…

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Bert Brecht und der Jedermann

Selbst ein Bert Brecht lief beim Versuch, einen Ersatz für den stets umjubelten und stets angezweifelten „Jedermann“ zu finden, zu literarischen Untiefen auf. Im Jahr 1949 sagte er Gottfried von Einem, damals Mitglied der Festspiel-Leitung, einen „Salzburger Totentanz“ zu. In einem Brief vom Mai 1949 schildert Brecht sein Konzept: „Kontrakt des Kaisers mit dem Tod, im kommenden Krieg die Opfer zu begrenzen und ihn und seine Nächsten zu verschonen, wenn sie das vereinbarte Zeichen machten. Vergessen des Zeichens durch den vielbeschäftigten Tod. Moral: Mit dem Tod kann man keine Geschäfte machen.“ Als Honorar wünschte der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte staatenlose Dichter die österreichische Staatsbürgerschaft. Brecht knittelte darauf los. In einer Textprobe lässt Brecht seinen Tod „mit asthmatischen Atembeschwerden“ über seine Allergie gegen den schnöden Mammon reflektieren. Dieses rührende Dokument lässt ahnen, dass der Bühne nicht viel entgangen ist. Der Text wurde nicht vollendet, Brecht bekam dennoch 1950 seinen österreichischen Pass.

Auch spätere Versuche, das Sterben des reichen Mannes zu erneuern, sind fehlgeschlagen. Am energischsten hat sich Peter Stein für eine Alternative zum oft als bigott kritisierten Stück Hofmannsthals eingesetzt. Peter Handke, Botho Strauß und Hans Magnus Enzensberger lehnten ab.

Walther Reyer als Jedermann, Nadja Tiller als Buhlschaft (1968)

So ein Regen hat auch etwas Gutes: Der erste „Jedermann“ dieses Sommers mußte ins Große Festspielhaus übersiedeln und tat dort neue Wirkung

Ein Mensch, nicht wie von Hofmannsthal konstruiert

Wer jemals an einem schwülen Sommertag eine „Jedermann“-Aufführung auf dem Platz vor dem Salzburger Dom erlebt und im Schweißbad durchlitten hat, der ist nicht undankbar, wenn, wie bei der Premiere am Samstag, Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ wegen Schlechtwetters in das Große Festspielhaus verlegt wird. Man sehe und staune: Die Schwächen des Werks, aber auch die Stärken der Aufführung werden im geschlossenen Raum noch deutlicher.
Sprachlich täuscht das Stück vor, mittelalterlich und inhaltlich fromm zu sein. Die Inszenierung von Gernot Friedel, die bekanntlich vor allem das von Ernst Haeussermann in Reinhardt-Tradition erarbeitete Regie-Konzept verwaltet, gewinnt im Haus an Dichte. Auch die kritische Distanz der Regie zu Hofmannsthals Bigotterie tritt im geschlossenen Raum kräftiger zutage. Und immerhin ist auch zu bemerken, wie hübsch und detailreich Friedel so manche Szene arrangiert hat, etwa die Tischgesellschaft, die, zu Tode erschrocken, zum Cinemascope-Renaissance-Gemälde erstarrt.
Für die Schauspieler bedeutet der Ortswechsel eine enorme Umstellung. Urs Hefti als Spielansager schafft sie nicht: Er brüllt und agiert plakativ, als müßte er noch auf der Festung gehört werden. Hingegen ist Michael Degen als Tod ein Labsal an nuanciertem, völlig unpathetischem Spiel. Lola Müthel überzeugt als Jedermanns Mutter mit naiver Gläubigkeit, und auch Isabel Karajan als Gute Werke und Sibylle Canonica als Glaube erfüllen die Allegorie, die geschrieben steht, mit wohltuend sachlicher irdischer Präsenz.
Mit großer Spannung wurde natürlich der Auftritt der neuen Buhlschaft, Sophie Rois, erwartet. Schon optisch unterscheidet sie sich deutlich vom bisher in Salzburg gepflegten Klischee des drallen Lustweibs mit üppigem Dekollete: Sophie Rois ist zierlich, aber sie wirbelt mit großer Entschiedenheit als kleine Raubkatze über die Bühne, eher verspieltes Mädchen als lüsterne Dirne, eine sehr heutige Figur. Ihre Manier, Sätze hervorzustoßen und gleich darauf die Lautstärke aufs Minimum zu reduzieren, wird wohl auch auf dem Domplatz zu Verständigungsschwierigkeiten führen.

Alle Einwände gegen das vielgeschmähte Stück verstummen aber, wenn Gert Voss als Jedermann von der Bühne Besitz ergreift. Die Aufführung im Festspielhaus ermöglicht, die überraschend vielschichtige Annäherung des Schauspielers an die ja biographielose Figur in konzentrierter Form zu beobachten. Voss greift mit allen stupenden Kunstmitteln hinein ins pralle Menschenleben, ist lausbübisch verspielt zu Beginn und später mannhaft ängstlich, schließlich erbärmlich kreatürlich bis zur hündischen Ergebenheit dem Glauben gegenüber.
Voss läßt, was wirklich Kunst ist, das jämmerliche Versmaß des Textes vergessen und ist noch beim Auftritt im Büßerhemd ein Mensch, als wär‘ er nicht von Hofmannsthal konstruiert. Günter Verdin
(27.07.1998)

Everyman everywhere: Der „Jedermann“ anderswo
Nicht nur auf dem Salzburger Domplatz wird der „Jedermann“ Hugo von Hofmannsthals aufgeführt, auf mehreren Bühnen, auf Kirchenstufen und Ruinen wird, vornehmlich im Sommer, das Sterben des reichen Mannes zelebriert, auch in Dialektversion und sogar als Tanztheater. Eine Bestandsaufnahme.

MAX REINHARDT, der Regie -Übervater des „Jedermann“ bei Dreharbeiten in Hollywood (szenische Anweisungen für Puck im „Sommernachtstraum)

GÜNTER VERDIN
Es ist doch jedes Jahr das gleiche Theater auf dem Platz vor dem Salzburger Dom: der reiche Mann hat seine Seele – husch, husch, im reuigen Eilverfahren – gerettet, das Publikum ist ergriffen, und die Kritiker winden sich mit skeptischen bis zynischen Bemerkungen aus der Pflichtaufgabe, über ein ungeliebtes Stück und seine auf Reinhardtschen Erfahrungswerten ausharrende Inszenierung zu berichten. Der nicht versiegende Publikumsandrang lässt sich wohl damit erklären, dass selbst im nicht gläubigen Menschen geheime emotionale Saiten von der großen Versöhnungsgeste des Theater-Gottes in harmonieselige Schwingungen versetzt werden; und der ebenfalls nicht enden wollende Kritikerspott ist darin begründet, dass, wer das gleichermaßen naive wie künstliche Mysterienspiel hinterfragen möchte, auf ein esoterisches Gemisch von Glaubens-Annahmen stößt, welches der logischen Analyse nicht standhält.

„Jedermann“ unter der tausendjährigen Linde

Da in Salzburg in der Ära nach Gerard Mortier, unter dem neuen Schauspieldirektor Jürgen Flimm, auch beim „Jedermann“ (wieder einmal) nach neuen Ansätzen gesucht wird, lohnt vielleicht ein Rundblick im deutschsprachigen Raum. Denn auch abseits der Salzburger Festspiele geht der Jedermann a bisserl sterben: in Faistenau etwa sind unter einer 1000-jährigen Linde an die 100 Laiendarsteller am von Franz Löser „volkstümlich“ bearbeiteten Hofmannsthal-Werk (jeden Samstag bis zum 18. August).
Auf diese Mundartfassung, in der Jedermann ein reicher Bauer ist, greifen auch die Mondseer zurück, die auf der Freilichtbühne im Karlsgarten neben der schönen Pfarrkirche bis zum 25. August (jeweils samstags) nicht nur eine große Laien-Spielschar, sondern auch die Goldhaubenfrauen Mondsee, die Alttrachtengruppe St. Lorenz und eine Volkstanzgruppe aufbieten.
Selbst das Deutsche Staatstheater im rumänischen Temeswar hatte 1999 den „Jedermann“ auf dem Spielplan. Im thüringischen Erfurt gibt es auch heuer wieder (vom 30. August bis 2. September) auf den Stufen vor dem Dom eine um Authentizität bemühte Aufführung.
Dass der Hofmannsthalsche „Jedermann“ sozusagen noch einen Koffer in Berlin hat, wo die Uraufführung 1911 unter Max Reinhardt (mit Alexander Moissi in der Titelrolle) im Zirkus Schumann stattfand, war anzunehmen. Brigitte Grothum schart seit nunmehr 15 Jahren im Berliner Dom prominente Schauspieler (in diesem Jahr unter anderen Sonja Kirchberger, Brigitte Mira, Elke Sommer und als Mammon den als Travestiefigur Mary bekannt gewordenen Georg Preuße) um sich, um im sakralen Rahmen dem Mysterienspiel zu aktueller Bedeutung zu verhelfen.
Auf der Homepage der Berliner Jedermann-Festspiele begründet Brigitte Grothum ihren Einsatz für das Stück folgendermaßen: „So, wie heute, in unserer globalisierten Welt, weder eine Anbindung an Ideale noch Mitleid den Absturz in die Ellenbogengesellschaft hemmen, wie ungezügeltes Gewinnstreben möglicherweise in eine Katastrophe führt, so wird der symbolhaft für uns alle stehende ,Jedermann‘ durch die Wiedergewinnung des Glaubens an höhere Werte gerettet.“
Nicht allerorten kann man mit vergleichbar kostbarer sakraler Kulisse für den „Jedermann“ aufwarten wie in Salzburg, Erfurt oder auch Schwäbisch Hall (hier spielt das Stück auf der ausladenden Freitreppe der evangelischen Stadtkirche St. Michael).
Doch historisches Gemäuer muss es schon sein. In Weingarten (bei Ravensburg) dient der sonst nicht zugängliche Klostergarten auf dem Martinsberg als Kulisse für einen aktualisierten „Jedermann“. Der reiche Mann ist hier Finanzmakler von Beruf und hat stattlichen Immobilienbesitz. Die Figur der Buhlschaft, zumeist als dralles Lebeweib auf die Bühne gestellt, wird in Weingarten vom Anrüchigen befreit. Zu Recht weisen die Weingartner darauf hin, dass die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Buhlschaft“ eigentlich „Verlobte“ war. Bei den Bad Hersfelder Festspielen gehört die „Jedermann“-Aufführung vor der mittelalterlichen Kulisse der Stiftsruine zum festen Bestandteil des Spielplans.
Seit acht Jahren ist der „Jedermann“ in Hamburg zu sehen, und zwar in der so genannten Speicherstadt im Zollgebiet des Freihafens. Die Kulisse dieser ehemaligen „Kathedrale der Waren“, wie die Speicherstadt in den Reiseführern poetisch umschrieben wird, fügt sich plastisch in den Anspruch der Inszenierung, der heutigen Hamburger Bürgerschaft einen Spiegel vorhalten zu wollen.
Grell, satirisch verfremdet und aufgebrochen erscheint das alte Mysterienspiel als „Der Fränkische Jedermann“ im Innenhof des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Der vom Autor Fitzgerald Kusz durchaus ernst gemeinte Text wird in Klaus Kusenbergs Inszenierung zum deftigen Satyrspiel auf alle Heuchelei und Frömmelei, die konventionelle „Jedermann“-Aufführungen zur Qual machen. „Godd“ zum Beispiel hat einen mächtig langen Bart, der sich über die ganze Bühne hinweg ausbreitet. Sein Gegenspieler, der Teufel, ist mit Flammenwerfern ausgestattet und stiehlt „Godd“ und dem reichen Mann die Show. Das Herzala, die Buhlschaft, tänzelt im rosen-übersäten Reifrock über die Bühne. Und der Tod tritt mit schrecklichen „Jedermoo!“-Rufen aus der Trauerweide (!) hinter der Bühne hervor. Auch hier wird Jedermann natürlich gerettet; an seiner statt holt der Teufel das arme Herzala . . .
Eine durchaus diskussionswürdige, ernst zu nehmende Sicht auf den „Jedermann“ bietet die junge Choreografin Irina Pauls mit ihrem neuen Tanztheaterstück, das Mitte Juli im Rahmen der Heidelberger Schlossfestspiele uraufgeführt wurde.

Jedermann als ein tanzender Rebell

Irina Pauls‘ Jedermann in Gestalt des Tänzers Andreas Lauck ist ein äußerlich eher grüblerischer Mann, dessen psychische Defekte sich erst im Laufe der Inszenierung offenbaren. Jedermann als sadistischer Machtbesessener dirigiert nicht nur seine anämische, willenlose Buhlschaft (Jessica van Rüschen), sondern auch die Tischgesellschaft in den Untergang.
Irina Pauls‘ Tanzstück „Jedermann“ wird im romantisch verfallenen Englischen Bau der Heidelberger Schloss-Ruine präsentiert. Jedermanns Abbruchhaus? Pauls: „Ich glaube, dass der Jedermann gut hierher passt. Dieser Ort trägt die Geschichte mit sich. Das versuchen wir ja darzustellen, diesen Werdegang und das Verfallen: Asche, verbrannte Holzteile, die hier sind, das heißt, dass der Tod immer gegenwärtig ist, der Tod, der schließlich Jedermann holt. Ich finde die Figur des Jedermann interessant, weil er rebelliert; in jeder Rebellion ist ja auch ein ganz starker Wille zu spüren. Und dass dieser Jedermann Gottes Gebote erst einmal nicht anerkennt, sondern versucht, sein Leben selbst zu gestalten, ist eine ungemein sympathische Eigenschaft!“

Statt Hofmannsthal ein historischer Eremit

Was bleibt vom Text Hofmannsthals übrig? Pauls: „Eigentlich nichts mehr. Die moralisierenden Figuren wie die Guten Werke oder der Glaube kommen bei mir nicht vor. Allerdings haben wir einen sehr schönen Text eines Eremiten aus dem 12. Jahrhundert, Heinrich von Melk, der von einem Schauspieler rezitiert wird. Es ist ganz wichtig, dass einer da ist, der an Jedermann appelliert: Kehre dein Schiff um, geh auf die richtige Spur. Wenn wir diesen Bezug nicht hätten, dann würde ja auch die Frage zwischen Leben und Tod und auch der Beziehung zur höheren Gewalt gar nicht im Raum stehen.“
Irina Pauls leitet seit einem Jahr, und mit aufsehenerregendem Erfolg, die Ballettkompanie am Heidelberger Stadttheater. Zum Wesen ihrer Arbeit als Choreografin gehört eine ganz besondere Hand- Schrift, im wahrsten Sinne des Wortes. Pauls: „Ich gehe von Alltagsgesten aus. Das ist ja ein wichtiger Moment: wie Menschen sich ganz alltäglich bewegen, und das geht sehr stark über Arme und Gestikulation, das versuche ich dann als charakteristisches Bewegungs-Merkmal für die Figuren zu schaffen. Arme und Oberkörper sind ein wunderschönes Mittel, den Körper ganz einzusetzen. Das ist die moderne Bewegungssprache, die Kopf. Arme und Oberkörper miteinschließt.“

Bei der „Jedermann“-Choreografie von Irina Pauls fällt auf, dass auch die Tischgesellschaft individuell durchgestaltet ist. Hier tanzen Einzel-Persönlichkeiten, die für sich Bewegung erfinden und sich wie zufällig in den Bewegungsduktus der anderen verschränken oder integrieren. Pauls: „Die Tänzer sind letztendlich sehr individualistisch. Sie erfassen die von mir vorgegebene Bewegungssprache und interpretieren sie auf ihre eigene Weise. Das ist für mich die Idee von Tanztheater, dass man ganz spezielle, eigenwillige Persönlichkeiten auf der Bühne hat, die in der Lage sind, eine Idee zu verfolgen und eine Bewegungssprache auszudrücken.“ Welche Rolle spielt die Musik? Pauls: „Ich verwende mittelalterliche Musik, die hin reicht zu neuer Musik, die mit mittelalterlichen Instrumenten gespielt wird. Es ist für mich immer wichtig, dass die Musik die Idee des Stücks klar ausdrückt.“ Hat Irina Pauls jemals den „Jedermann“ in Salzburg gesehen? Pauls: „Ja natürlich. Und ich muss Ihnen sagen, ich fand ihn sehr langweilig.“
(19.07.2001)

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